Gedichte R. von Schmitz-Scherzer

   

Früher

Wenn du wiederkommst 
wirst du
das Haus
leer finden

die Silhouette
des Bootes
ruht
im Meer unserer Träume

und seine Ankerkette
unter den Augen des Bugs
bewacht
ein schwarzer Schwan

Erinnerung an leere Zeiten
und keine Gedanken mehr
an die Entfernung
zu dir

 
 
   

Alchemie

Der Sommer
ist das Destillat
des Frühlings

der Herbst
das des Sommers

der Winter
das des Herbstes

der Frühling
das des Winters

 wo ist die Quintessenz
aller Destillate?

in der Flucht
der Jahre?

oder wo?

 
 
   

Sehe dich

Sehe dich
du lädst mich ein
die Wälder deiner Haare zu durchstreifen
die Felder deiner Wangen zu bepflanzen

gib mir Ruhe
und ich will dich behüten
und am Feuer bewirten
umhüllt vom Schrei der Häher

 
 
   

Ankunft

Du hältst Ankunft
in meinen Gedanken

bist gegenwärtig und fair
zu den Wölfen

ich beobachte dich
und kenne jetzt deinen Namen

 
 
   

Askalon

Askalon:

Meer und der
Dialog der Winde
mit verbrannten Hügeln

in der Hand der Täler
Häuser

auf ihren flachen Dächern
Sitze der Sonne

 
 
   

Worte

Am Ende
der Zärtlichkeit
der Schlag
der zerronnenen Zeit

Möwen
betrachten
was blieb:
Strandgut der Worte

 
 
   

Sterbende Begleiten

In deinem Gesicht
das bezeichnende Dreieck

du bist gelb
von den Metastasen deiner Leber

deine Schmerzen liegen
im Morphium
verborgen

ich lasse mich in deinen Ängsten
nieder
zu schützen deinen Abschied

 
 
   

Trauer

Blumen
in der Schale meiner Worte

Nebel

die Herde der Bäume
im Regentanz

Träume an der Deichsel des Windes

 
 
   

Rückkehr

Züge der Erinnerung
verweilen

in der Frühe
deine Wärme
und neuer Schnee
über Vergangenem

Feuer der Ankunft
unter meiner Achsel

 
 
   

Dioagnose

Hinter dem Vorhang
der Worte
verwundetes Leben
und Trümmer
der Vergangenheit

 
 
   

Gordischer Knoten

Zuvor noch
Regen
nun gordische Knoten
im Haar der Wolken

Schatten auf ihrem Zug
zu den Gipfeln
und der Mond
befährt schon
die Strassen der Nacht

 
 
   

Marokko

In den Windbetten der See
die Flaschenpost meiner Träume

Palmen:
Windköpfe

im Zelt der Mistel
geflüsterte Worte

Frieden
und
Minze
im Turban des Abends

 
 
   

Nacht

In den fragilen Händen der Nacht
Sperlingsfedern

die Kormorane
meiner Fragen
kehren heim

Moos liest die Namen
Verstorbener

 
 
   

Rückschau

Jetzt
in Schattenzeiten

Interieur studieren
den Reigen der Käfer
sowie den Weg der Brise
und überhaupt:
den Wolkentanz in buntem Gewand

 
 
   

Strand

Finger
der Brandung
blättern im Sand

Wind wieselt
um die Fahne
der Nacht

Bogen der Hoffnung
im Sprung
der Delphine

 
 
   

Gegenwart

Fährten des Bären
aus der Vergangenheit
zum Fluss

Schatten
und Bilder
wilder Feste
und schwerer Ruhe
nach einsamen Opfern

Tränen des Augenblicks
unter dem Brennglas
meiner Haut

 
 
   

Warten

Sitzen
gelehnt an die Häuser der Schatten

die Töne des Windes
wie Tropfen der Zeit

Mittags der Schrei einer Katze
und Blitze in der Glut der Sonne

 
 
   

Philemon und Baucis

Nicht die Ekstase der Liebe mehr
eher nun das Bekenntnis zum Anderen
und die Alltäglichkeiten
im Strom der Zeit
jetzt am Zügel
des welkenden Körpers

So ist die Lehre der Endlichkeit
besser ertragbar:
zu zweit
in den Farben des Sonnenuntergangs am Platz vor dem Haus

Im Schatten auch des Mittags
wenn die Spinnen
in ihren Netzen
schlafen

und sich die Augen
in der Nähe
finden

 
 
   

Sie

Fragen meines Herbstes
und Erinnerungen
an den flüchtigen Atem der Nacht

Körner der Worte
Saatgut unserer Felder
und Ahnung kühlen Wassers
in den Händen des Morgens

In deinen Augen Ruhe
du ankerst im Strom
am Ufer deiner Zeit und
unter den Augen wilder Tiere

 
 
   

Geschichte der Liebe

Geschichte
der Liebe:

des auf einander zu Laufens
(mit wehenden Haaren )

der Liebe
der Kränkungen
der Verletzungen

der Liebe
der abgebrochenen Telefonate
der Abschiede

der Liebe
der Ankünfte
des Endes

des Endes
der Liebe

 
 
   

Bitte

Umhülle mich
mit den Worten deines Schweigens
und belass
die Kühle deiner Hand
auf mir

wachende Opale
unter dem Torbogen des Forts

du
im Burnus unserer Zeit
tanze den Tanz des Mistral

 
 
   

Fremde

Fremde
am Ufer

im grauen Blick
der See
und auf dem Tisch
die dampfende Hechtsuppe

leiser Entenflug
im Schatten der Weiden

in der Wärme des Feuers
Erinnerungen
und
Pfeile der Sehnsucht

 
 
   

Fühling

Elsternnester
wie Augen im Filigran
der Pappeln

Lichtpfeiler
an die Stämme
der Birken gelehnt

auch Knospen ungesagter Worte
und die schwarze Nuss
der Einsamkeit

 
 
   

Südsee

Gelehnt an die
Brust des Windes

Sonne wärmt noch
das Fell der Dämmerung
und die Riffe füllen sich mit Buntem

 
 
   

Im Norden

Geerdete Zeit
und klare Bilder
im Gepäck

keine Verführung
durch tropische Farben
hier liebt man eher Pastell

Wind ordnet
das Land

Streicht um niedergehockte
Häuser - rote, blaue, weisse, grüne
und horcht auf die Stimmen
zurückgekehrter Männer

Regentiere
halten Wache

 
 
   

Watt

Grenze zum Meer
wer wagt zu sagen
dies hier sei Meer oder Land?

Möwen lesen die Botschaften
der Winde

Den nächtlichen Gesang
der träumenden Vögel
hören doch nur Wassermann
und Bernsteinreiter

 
 
   

Steppe

Strassen zum Horizont
Sonne bräunt den Saum

gelbes Gras und schwarze Stiere

am silbernen Eukalyptus
hängt der Preis vom letzten Rodeo

Erinnerung an verbrannte Tage

 
 
   

Müdigkeit

Im Schatten später Tage
wirft er die Stadt
wie ein Cape
um die Schultern

müde der Schönheit und des Verfalls
sieht er die letzten Strahlen der Sonne
die Farben des Abends
aus voller Palette schöpfen

nicht mehr messbar sind
die Entfernungen
zu den Gestaden
der Hoffnung

im Kelch der Gegenwart
das schlagende Herz eines Falters

 
 
   

Der Goldene Helm

Hinter den Augen
Landschaften
längst versunken
in den Feuern wilder Sonnenuntergänge

längst kalt die Erinnerung
an deine Achsel
und an die Kornblume
die du zwischen den Zähnen trugst

dort den goldenen Helm am Haken
setz ihn jetzt auf

 
 
   

Abschied

Regen löscht
den Rauch der Feuer

letzte Gespräche noch
unter der Hand des Mondes

Sätze junger Möwen
verweilen im Watt
halb vollendet:
Rufe zu den Wolken

am Ende eine leise Übelkeit
in den blauen Adern der Bäume
nahe der Erinnerung
und durchscheinend

 
 
   

Sterben

Schwere letzte Worte
Versprechen in den Kronen alter Bäume
niemals alles gesagt

Erinnerungen an Sterbende
an geflüsterte Sätze

oder an leise pulsierende Adern
am Hals
keine Worte mehr
doch Atem noch

telefonierte noch einmal
hörte eine fremde Stimme
legte den Hörer auf

 
 
   

Ende

Decke alles zu

auch die Blumen am Gartentor

lege das Netz
über die Zweige der Kastanienbäume

und ziehe den Vorhang vor die Sterne

das Spiel ist aus

 
 
   

Dschungel

Lichtgitter
und Grün
um die Freiheit grosser Schmetterlinge

Schwüle unter den Flügeln
der Mücken
und in den Augen
der grünen Schlange
wächst der Tag

Frühnebel verbergen immer noch
die Kronen der Bäume
mittags zieht die Sonne den Vorhang auf

 
 
   

Guyaquil

Hier wohnt der Tod
er schlägt mit der Hitze seiner Arme
zeigt sich in den Tränen der Blätter
und steht am Gitter der Mangroven:
komm ans Feuer Freund

 
 
   

Ja sagen

Ob ich will oder nicht

kein Grund zur Eile
denn ruhig brennt die Flamme

Musik auch
wie damals
an diesem ersten Weihnachtsfest
nach dem Tod der Mutter

anlehnen
an Kissen aus
Duft und Tönen

wäre die Bluesleiter nicht
schon lange wäre ich tot

nichts bleibt
von der Flamme
sie erlischt in selbstverständlicher Ruhe

ob ich will oder nicht

 
 
   

Patagonien

Natürlich
in Patagonien:
diesem Land der Farben
und der Bühnen
des Lichts

Geschichten des Windes
verstehen:
kaum erzählt
sind sie schon wieder vergessen
und alsbald wieder neu erfunden

Wetterkunde studieren
hier
in Patagonien
ist auch möglich.

 
 
   

Mein Arkadien

Mein Arkadien ist nicht
unter lauen Himmeln gelegen
nicht trägt der warme Wind
Lieder
und schon gar nicht
sind Tänze unter den Menschen

In meinem Arkadien
schlägt die Brandung der See
die Trommeln
und Möwen singen Lieder
die sich nicht um Worte kümmern

 
 
   

Leda

Damals
als wir
an dunklen Orten
im Hafen
wohnten
nannten wir nur unsere Körper
unser eigen

die verschenkten wir

des Morgens lagen wir
wie aufgelöst unter dünnem Laken

du entdecktest
mein erstes graues Haar

und wie immer:
dieser Hafen im Nebel

 
 
   

Lylia

Geh nun
tanze deinen Weg
zurück ins Eis

weder du warst gemeint
noch ich

Trugbild

nicht war in deinen Augen
Platz für meine Hunde
und mich

 
 
   

Platz im Süden

Unter den Augen
alter Männer
betrachten die Tauben
die Muster der Erde

im Nest
der Sonne
fangen Bäume
grüne Schatten

aus manchen
dunklen Fensterhöhlen
entfliehen nun die Träume
der Häuser

 
 
   

Schmerz

Der Schmerz in der Brust
ist wie der Zeiger einer Uhr -
ist es schon spät?